1

“Beyond Brexit” – Buchneuerscheinung

Kürzlich erschien das 2018 veröffentlichte Buch „The Good Friday Agreement“ von Siobhán Fenton auf Deutsch unter dem Titel „Beyond Brexit“. Als mich der Eire Verlag fragte, ob ich dazu eine Rezension schreiben würde, war ich sofort begeistert. Für Nordirland mit seinem Sonderstatus als britische Exklave innerhalb Europas interessiere ich mich seit meinem ersten Besuch in Belfast 2008. Spätestens seit Brexit ist das kleine Land auf der irischen Insel wieder mehr in den Fokus internationaler Medien gerückt.

Beyond Brexit_Mural BelfastBeyond Brexit_Mural BelfastBeyond Brexit_Mural BelfastBeyond Brexit_Mural Belfast

Ein Teil jüngster Geschichte

2008/2009 verbrachte ich im Rahmen meines Tourismusstudiums ein 6-monatiges Praktikum in Dublin. Während dieser Zeit reiste ich viel, unter anderem auch nach Nordirland. Bis dato wusste ich kaum etwas über die (nord)irische Geschichte, geschweige denn den Nordirlandkonflikt. Allenfalls erinnerte ich mich vage an Fernsehberichte über Autobomben und vermummte Terroristen, die ich seinerzeit kaum mit der Grünen Insel in Verbindung gebracht hatte.

Dabei war 1998 erst das Good Friday Agreement, das sogenannte Karfreitagsabkommen, unterzeichnet worden. Es besiegelte offiziell das Ende der Unruhen, die seit Jahrzehnten das Land erschüttert hatten. Ein Stück junger Geschichte sozusagen. Nur zwei Flugstunden von meiner Heimat Deutschland entfernt. Für mich dennoch ein blinder Fleck auf dem Zeitstrahl der Geschichte. Dementsprechend wusste ich nicht, was mich bei meinem ersten Besuch in Belfast erwarten würde.

Mein Interesse war geweckt

Zu jener Zeit arbeitete ich für einen großen, in Dublin ansässigen Irland-Reiseveranstalter. Täglich schickten wir Reisegruppen ohne Bedenken nach Belfast. Ich hatte also keinerlei Befürchtungen um meine Sicherheit. Dennoch war ich vor meinem ersten Trip in die nordirische Hauptstadt etwas nervös. Ich hatte Angst die falschen Fragen zu stellen oder mit meiner Neugier jemanden vor den Kopf zu stoßen. Das letzte was ich wollte war als sensationslustiger Tourist in ein politisches Fettnäpfchen zu treten.

Auf einer Black Cab Tour (traditionell englisches Taxi) bekam ich zunächst einen touristischen Einblick in die Geschichte der Troubles. Mit einem örtlichen Guide besuchte ich die einschlägigen katholischen und protestantischen Viertel auf beiden Seiten der ‘Friedensmauer’. Von da an war mein Interesse geweckt und ich begann Filme und Dokumentationen über den Nordirlandkonflikt zu schauen sowie Romane und Sachbücher darüber zu lesen. Letztendlich kam mir meine private Recherche für eine Hausarbeit im Rahmen meines Studium zu Gute, in der ich den Einfluss von Terrorismus auf den Tourismus am Beispiel von Nordirland erörterte.

Belfast Nordirlandkonflikt MuralBelfast_Black Cab TourBelfast FriedensmauerBelfast Black Cab Tour

Siohbán Fenton & “Beyond Brexit”

Als ich kürzlich “Beyond Brexit“ zu lesen begann, flammte meine Leidenschaft für das Thema wieder auf. Seit ich 2014 nach Irland ausgewandert bin, habe ich mich kaum noch intensiv mit geschichtlichen oder politischen Themen meiner neuen Wahlheimat auseinander gesetzt. „Beyond Brexit“ zeigt mir wie spannend ich dieses komplexe Thema um den Nordirlandkonflikt nach wie vor finde.

Siobhán Fentons Sachbuch beginnt mit einem komprimierten, geschichtlichen Abriss Nordirlands. Wie die Autorin selbst sagt, erhebt sie dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder einhundertprozentige Objektivität. Vielmehr geht es ihr darum, geschichtliche Geschehnisse herauszufiltern, die für ihre darauffolgende Analyse der gesellschaftlichen Situation Nordirlands von Belangen sind. Dabei spricht sie Themen wie den Transgenerationenkonflikt und die vorherrschende Ungleichheit in der Bevölkerung an. Nie seien die Folgen der Unruhen für das weibliche Geschlecht im Speziellen erörtert worden, was Fenton in ihrem Buch entsprechend nachholt.

Fenton ergreift dabei weder Partei für die katholische, noch die protestantische Seite. Mit einer katholischen Mutter und einem protestantischen Vaters ist sie die Tochter einer sogenannten Mischehe, die seinerzeit in Nordirland keinen leichten Stand hatte. Aus diesem Grund waren ihre Eltern vor ihrer Geburt nach England umgesiedelt. Als sie 3 Jahre alt war, kurz nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens, kehrte die Familie nach Belfast zurück.

Unterschiedliche Ansichten

Mit ihrem Abschluss in Gender Studies und als Aktivistin der Pro-Abtreibungsbewegung in Nordirland unterscheidet sich Siobhán Fentons Sichtweise in vielerlei Hinsicht von meiner. Ich spreche mich offen gegen Abtreibung aus, bin keine Befürworterin von übertriebenem Feminismus und halte nichts vom „Gendern“*. Dennoch sehe ich in „Beyond Brexit“ eine Gelegenheit meinen Standpunkt vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Umstände der Troubles neu zu beleuchten und Fentons Analyse offen gegenüber zu stehen. Dabei vertraue ich ihrer Arbeit als qualifizierte Journalistin und schätze ihr Buch als besondere Form sich mit ihrer eigenen, persönlichen Geschichte auseinander zu setzen.

*[…] das Gendern (steht) im Deutschen für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, der die Gleichbehandlung der Geschlechter in der schriftlichen und gesprochenen Sprache zum Ausdruck bringen will.“ (Wikipedia, 2021) Im englischen Sprachgebrauch zum Glück nicht existent, aber sehr störend beim Lesen von „Beyond Brexit“ in deutscher Sprache und nicht förderlich den ohnehin komplexen Inhalt leicht zu verstehen (Anmerkung Sylvia P.).