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Warum wir nicht aussterben: Meine Geburts-Story

Es gibt Dinge im Leben, die kann man einfach nicht in Worte fassen. Ein Kind zur Welt zu bringen ist eines davon. Ich habe gelesen, dass die Schmerzen die zweitschlimmsten nach dem Verbrennen sein sollen. Zum anderen beschreiben mir Freunde die Geburt ihres Kindes als einen der bewegendsten Momente ihres Lebens. Wenn ich im Fernsehen sehe, wie eine Frau ein Kind gebärt, frage ich mich, wie die Menschheit solange überlebt hat. Eine mögliche Antwort wäre, dass man beim ersten Kind nicht weiß, was auf einen zukommt. Warum um Himmels Willen gibt es dann so viele Mütter, einschließlich mir, die mehr als nur ein Kind haben? Hier ist meine Geburts-Story.

Das Wunder nimmt seinen Lauf

Meine erste Schwangerschaft war wunderbar. Ich hatte das Glück direkt schwanger zu werden nachdem wir beschlossen hatten es zu probieren. Das Timing war perfekt. Wir hatten gerade geheiratet und waren kurz davor von unserer Hochzeitsreise zurückgekehrt. Abgesehen von leichtem Unwohlsein am Anfang, blieb ich in den ganzen neun Monaten von unangenehmen Begleiterscheinungen verschont. Die medizinische Versorgung im Dubliner Coombe Hospital während der Schwangerschaft war erstklassig. Im Gegensatz zu Deutschland geht man in Irland bereits zu den Voruntersuchungen in die Geburtsklinik. Ob es ein Junge oder Mädchen wird, wollten wir nicht wissen. Wir freuten uns auf eine Überraschung.

Das Unumgängliche

Alles in allem fühlte ich mich großartig. Zumindest körperlich. Mental war es eine ganz schöne Herausforderung sich auf die große Veränderung, die da auf uns zukam, einzustellen. Während ich mich darauf freute Mama zu werden und die Schwangerschaft definitiv genoss, beschlich mich eine gewisse Angst. Genaugenommen waren es verschiedene Ängste und Sorgen. Aber die eine große, die mich nachts gelegentlich wach liegen ließ, war die vor der Geburt. Immerhin würde ich mich dieser zuerst stellen müssen. Vieles kann man aus Angst einfach umgehen oder vermeiden. Das eigene Kind zur Welt zu bringen gehört nicht dazu.

So nah und doch so fern

Egal wie viel ich mich über dieses Thema informierte oder wen ich nach Erfahrungsberichten fragte, niemand konnte mir sagen wie die Geburt für mich sein würde. Es war wie eine Angst mit zwei Gesichtern. Auf der einen Seite fieberte ich dem Tag entgegen, an dem es endlich so weit sein würde. Auf der anderen Seite wollte ich ihn so lange wie nur möglich hinauszögern. Manchmal überkam mich regelrecht Panik. Ich trug dieses kleine Wunder in mir und spürte es jeden Tag. Und doch schien der Moment, in dem ich es endlich in die Arme schließen konnte, wie unerreichbar für mich. Die Angst, die ich vor den Schmerzen hatte, baute sich wie eine unüberwindbare Mauer vor mir auf. Früher oder später würde ich sie überwinden müssen. Aber daran mochte ich nicht denken.

Kein Weg zurück

Als die Wehen eines Nachmittags ganz sachte anfingen, wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab. Nicht dass ich das gewollt hätte oder es überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt der Schwangerschaft ein Zurück gegeben hätte. In der Theorie war ich vorbereitet. Ich wusste was wann zu tun war, wie ich zu atmen hatte und was medizinisch auf mich zukam. Einen strikten Geburtsplan hatte ich nicht, sondern wollte flexibel an die Sache herangehen. Mein Mann John kannte mich allerdings besser und wusste, dass alles genauso kommen würde, wie ich es mir „vorgenommen“ hatte.

Jetzt oder Nie

Ein Termin an dem die Geburt eingeleitet werden sollte stand bereits fest. Das wollte ich um jeden Preis vermeiden. Ich setzte alles daran die Dinge vorher ins Rollen zu bringen. Als die Wehen tatsächlich am Tag zuvor einsetzten, war ich bereits 10 Tage über den errechneten Geburtstermin hinaus. Es gab also keinen Aufschub mehr, wenn ich nach wie vor eine natürliche Geburt wollte. Doch statt einer erneuten Panikattacke war ich plötzlich ganz ruhig. Es war als ob ich endlich mit etwas abschließen konnte, das so lange an mir gezehrt hatte. Nach fast 10 Monaten war es Zeit sich dem großen unsichtbaren Feind zu stellen. (Damit meine ich nicht unser Baby!)

Das ‘Monster’ zeigt sein Gesicht

Ich war froh, dass ich nun endlich einen Eindruck von den Schmerzen bekam, mit denen ich es die kommenden Stunden (Tage?) zu tun haben würde. Es war nicht mehr das große Unbekannte, das da vor mir lag, sondern langsam nahm es Formen an. Ich erinnere mich, dass ich recht zuversichtlich gewesen war als wir ins Krankenhaus fuhren, dass ich diese Art von Schmerzen ganz gut über einen längeren Zeitraum aushalten könnte. Im Krankenhaus erfuhr ich jedoch, dass das ‘Monster’ bislang noch nicht sein wahres Gesicht gezeigt hatte. (Nein, ich spreche immer noch nicht von unserem Baby!)

Vorstellung vs. Realität

Ich muss zugeben, dass mich die richtigen Schmerzen dann ziemlich umgehauen haben. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren was ich in all den Vorbereitungskursen gelernt hatte. Zumindest nicht bewusst. Ich war erstaunt wie viel ich dann doch unbewusst abzurufen schien. Denn ohne Komplikationen und nach nur 5 Stunden hielten wir unseren perfekten kleinen Jungen in den Armen.

Ein „Teufelskreis“

Und hier kommt für mich der (erste) große Widerspruch des Mutterseins. Ausgelaugt von der Geburt und mit den Schmerzen nach wie vor im Gedächtnis (nein, die vergisst man nicht wie oft behauptet wird), wusste ich, dass ich es wieder tun würde. Ich konnte es mir rational selber nicht erklären. Ich kann nicht leugnen, dass die Geburt ohne Zweifel eine Qual gewesen war. Und doch strahlte ich danach wie selten zuvor in meinem Leben. Um nichts in der Welt hätte ich es anders oder gar ganz ohne Strapazen haben wollen. Unerklärlich paradox eben.

Und ich tat es noch einmal. Etwa 18 Monate nach der Geburt unseres Sohnes war ich zum zweiten Mal schwanger. Wieder war es ganz fix gegangen und absolut gewollt. Und wieder war sie da, die Angst vor der Geburt. Ich denke, dass sie beim zweiten Mal sogar noch größer war. Immerhin wusste ich bereits, was mich erwarten würde.

Geburtsprofi im Einsatz

Beim zweiten Mal trat ich quasi als Geburtsprofi in den Ring. Ich hatte meine Atemtechnik perfektioniert und war auch mental bestens vorbereitet. Im Gegensatz zum ersten Mal war ich noch bei klarem Verstand als es in den Kreißsaal ging. Das erwartete Schmerzdelirium war noch nicht eingetreten. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf das Atmen und ließ mich dieses Mal nicht vollends vom Schmerz bestimmen. Mein Mann und ich waren sogar noch zu Scherzen aufgelegt als ich schon an der Lachgasmaschine hing. Wie treffend.

Zu früh gefreut

Es ist ein Irrglaube, dass die Geburt beim zweiten Mal einfacher ist. Schneller vielleicht, aber definitiv nicht weniger schmerzvoll. Zumindest nicht bei mir. Mit anderen Worten die Schmerzen waren genauso furchtbar wie ich sie vom ersten Mal in Erinnerung hatte. Ich war damals überzeugt gewesen, dass ich ohnmächtig werden würde, sobald die Schmerzen ins Unermessliche stiegen. Ich lag falsch. Es war erstaunlich wie viel (m)ein Körper aushielt und was für Kräfte in mir schlummerten. Mein Mann war davon wahrscheinlich genauso überrascht als er mir anbot seine Hand zu drücken, so fest ich wollte. Danach gestand er mir, dass er dachte sie sei gebrochen.

Momente des Zweifelns

Er konnte es sich nicht verkneifen mich auf dem Höhepunkt der Schmerzen zu fragen, ob ich mir vorstellen konnte, ein weiteres Kind zu bekommen. Er wusste, dass ich in meiner derzeitigen Situation seinem Sarkasmus wehrlos ausgeliefert war. Auch die Hebamme war hochkonzentriert und schenkte unserer nicht ganz ernst gemeinten, sehr einseitigen Konversation wenig Beachtung. An dieser Stelle war ich einem Zusammenbruch vor Erschöpfung nahe. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, dieses Kind zu bekommen. Meine Antwort auf Johns Frage lautete demnach nein. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht mir so etwas anzutun?

Von der Natur überlistet

Kurz nach diesem Moment, den ich als mein absolutes Geburtstief bezeichnen würde, erblickte unser zweites kleines Wunder das Licht der Welt. Ich konnte kaum glauben wie schnell es entgegen aller Prognosen dann doch gegangen war. Es mag wie eine abgedroschene Phrase klingen, aber von der Sekunde an als ich unsere Tochter sah, wusste ich, dass es die Anstrengung und Schmerzen wert gewesen war. Natürlich war ich von den körperlichen Strapazen der Geburt gezeichnet, aber ein Cocktail aus Glückshormonen schien das um ein Vielfaches auszugleichen.

Ich finde es schwer dieses Gefühl zu beschreiben ohne dabei die gängigen Klischees zu bedienen. Und sicherlich gibt es auch Mütter, denen es nicht so ging. Aber für mich war es ein unbeschreiblich schönes Gefühl unsere Kleine in den Armen zu halten. Sofort hatte ich diesen unglaublich starken Impuls sie beschützen und nicht mehr hergeben zu wollen. Und die sarkastisch gemeinte Frage meines Mannes, die ich vor weniger als einer Stunde noch mit nein beantwortet hatte, hätte ich nun bejaht. Ja, ich könnte mir vorstellen noch ein Kind zur Welt zu bringen. Ich befürchte das ist die Antwort darauf, wie die Natur den Fortbestand der Menschheit sichert.

Der Widerspruch des Mutterseins

Das war vor über 4 Monaten. Vor Kurzem hat sich unsere Mausi das erste Mal alleine gedreht. Obwohl ich mich daran erfreue unsere Kleinen wachsen zu sehen, tut es mir andererseits leid, wie schnell die Zeit verfliegt. Mit jeder Entwicklungsstufe werden sie selbständiger. Gerade jetzt, wenn sie noch so klein sind, machen sie täglich große Schritte in Richtung Unabhängigkeit, die ich mir selbstverständlich eines Tages für sie wünsche. Das, für mich, ist der größte Widerspruch des Mama-Seins. Als Mutter möchte ich einerseits, dass meine Kinder wachsen und sich entwickeln. Auf der anderen Seite wünschte ich mir sie würden für immer so klein und in meiner Nähe bleiben.