Gräbt sich Irland das Wasser ab?
25/01/2017Zwei Meldungen über Irland haben im vergangenen Jahr die Touristikerin in mir aufhorchen lassen:
Laut einer Umfrage des renommierten US-Magazins Condé Nast Traveler, sind zwei irische Städte unter den Top 6 der freundlichsten Städte weltweit – Dublin auf Platz 3 und Galway auf Platz 6 (Quelle: Tourism Ireland).
Die andere war in der Irish Times Mitte August zu lesen – Dublin ist nun nach Aussage des Hotelbuchungsportals HRS zweiteuerste Stadt was Unterkünfte in Europa betrifft. Vielleicht keine 100% repräsentative Studie, aber allein der Fakt, dass der durchschnittliche Übernachtungpreis dort bei €188,- liegt und demzufolge die Nachfrage da ist, ist meiner Meinung nach aussagekräftig genug.
Und apropos Nachfrage, die Besucherzahlen sind in der ersten Hälfte des Jahres 2016 um 14% im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr gestiegen. In Zahlen sind das ca. 420.000 Besucher mehr als in 2015 (Quelle: Tourism Ireland). Zurecht ist man stolz auf ein solches Ergebnis; die Wirtschaft boomt wieder und die Krise scheint endlich überwunden.
Bedenken einer begeisterten Auswanderin
Ich beobachte diese Entwicklung, die auf diversen Reise‑Workshops immer wieder freudig präsentiert wird, jedoch mit ein wenig Sorge. Einerseits aus der ganz egoistischen Befürchtung, die Insel selbst bald nur noch mit großen Menschenmengen und endlosen Warteschlangen in den Sommermonaten erleben zu können. Zum anderen habe ich rein pragmatische Bedenken – wohin mit der enormen Anzahl zusätzlicher Besucher in einem Land, das limitiert durch das Meer, nur über begrenzt Platz bzw. touristische Infrastruktur verfügt. Die logische Konsequenz wäre, soweit eben möglich, mehr Unterkünfte etc. zu schaffen, um dem den Prognosen nach auch 2017 zu erwartenden Ansturm gerecht zu werden.
Aber halt, hatten wir das nicht schon einmal? Einen Bau-Boom in der Euphorie des Celtic Tigers Mitte der 1990er Jahre? Mehr Hotels, mehr Visitor Centre, mehr Restaurants, um dem internationalen Gast etwas zu bieten? Oder war es doch eher das Interesse am eigenen Profit, was im Vordergrund stand, bevor 2008 alles gehörig nach hinten losging und das „Kartenhaus“ zusammenbrach. Egal, denn die Touristen wurden weniger. Und wenn man wiederum anderen Umfragen Glauben schenkt, kommen die meisten ohnehin nicht wegen etwaiger massiver Neubauten, sondern paradoxerweise gerade dem Gegenteil – etwas, das die Grüne Insel auch so (zumindest noch) zu bieten hat: viel Natur und Ursprünglichkeit.
Der Ast auf dem ich sitze…
Keinesfalls möchte ich alle Iren als habgierig und profitorientiert hinstellen. Ebenso liegt es mir fern, mich als „Wirtschaftsorakel“ zu versuchen. Aber so viel kann ich sagen: in meiner eigenen kleinen Welt, d.h. im Büro, wo ich täglich gemeinsam mit zahlreichen Vertretern der irischen Tourismusindustrie diverse Gruppenreisen über die Insel konzipiere (ja, ich bin auch aktiv an der Steigerung der Besucherzahlen beteiligt und stehe ihr dennoch kritisch gegenüber), schlägt mir zunehmend ein neuer Ton entgegen. Ein Hoch auf die Hotels, die uns nach wie vor als gleichgestellten Partner betrachten und das Geschäft, das wir ihnen seit Jahren bringen, wertschätzen. Das sind leider die wenigsten. Habgier und Arroganz bestimmen derzeit meinen Arbeitsalltag. Ein wahrhaft undankbarer Zustand. Kaum im wirtschaftlichen Aufschwung angelangt, sehen meine Kollegen und ich nahezu hoffnungsvoll der Kehrtwende entgegen, die einige Überflieger wieder zurück auf den Boden bringen sollte. Schade, wenn das nur über Extreme zu bewerkstelligen ist; ein gesundes Mittelmaß wäre hier wünschenswert.
Zumindest der Gast bekommt von dem derzeit leicht unterkühlten Verhältnis anscheinend nichts mit, denn immerhin sind „wir“ unter die freundlichsten Städte der Welt gewählt worden. Aber wenn wir schon einmal dabei sind, bekommt auch diese Statistik von mir ihr Fett weg. Erst kürzlich habe ich mich mit meinem Mann genau darüber unterhalten und er als Einheimischer erinnert sich noch an ein ganz anderes Dublin. Auslöser für unsere Debatte war ein kleiner “Schnack” mit einer Verkäuferin in einem Laden in Wexford, einer Stadt an der Süd-Westküste Irlands. Er meinte, dass man das, was früher Gang und Gäbe war, kaum noch in Dublin erlebt: einfach mal ganz gemütlich über’s Wetter plaudern ohne das hinter einem gleich einer mit den Augen rollt. Und das ist kein Vorwurf an Unbekannt, sondern auch ich zähle mich zu denjenigen, die oftmals nur noch mit Tunnelblick durch die Stadt stratzen ohne wahrzunehmen, was rundherum passiert. Trotz der Statistik, wonach die irische Hauptstadt die drittfreundlichste Stadt der Welt ist, habe ich persönlich das Gefühl, dass es im schnelllebigen Dublin kaum noch Zeit für außerordentliche Freundlichkeit und die berühmte „irische Gelassenheit“ gibt. Verständlicherweise, denn welche(r) Kassierer(in) im Supermarkt oder in den vollen Läden der Innenstadt erkundigt sich schon nach dem Befinden, während sie/er gleichzeitig von duzenden genervten Blicke der Wartenden durchbohrt werden. Neulich im überfüllten Bus auf dem Weg zur Arbeit drohte eine Frau zu kollabieren. Sie fragte, ob jemand den Halteknopf für sie betätigen könnte und am nächsten Stopp stieg sie im Sog der Menge aus, um sich dann allein in die Ecke des Bushäuschens zu kauern. Ich fühlte mich schrecklich, denn auch ich war nicht ausgestiegen, um ihr Hilfe anzubieten.
Reif für die Insel auf der Insel
Stellt sich die Frage, Huhn oder Ei, was kam zuerst – die hektische Großstadt, die es schwer macht die „alten (irischen) Tugenden“ aufrecht zu erhalten oder sind wir es mit Smartphone & Co., die sich davon abhalten dem Zwischenmenschlichen gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken und Dublin mehr und mehr in eine anonyme Metropole verwandeln?
Das sind jedoch nur Denkansätze von mir und im Gegensatz zu den anderen Tatsachen nicht durch eine Studie zu belegen. Mag sein, dass da gar nichts dran ist und ich nach meinem jahrelang gehegten und letztendlich erfüllten Wunsch in einer vibrierenden Großstadt zu leben, nun einfach an einem Punkt angekommen bin, an dem es Zeit ist, mich in ruhigere Gefilde zurückzuziehen. Wenn mir im Dorfladen zum wiederholten Male ein Gespräch ans Bein gebunden wird und ich es doch dann gerade eilig habe, revidiere ich meine Meinung gern.
Wer sich nun fragt, wie ich mit einem Blog über Irland Erfolg haben möchte, wenn ich doch (derzeit) so negativ darüber denke, dem soll gesagt sein, dass eine Liebesbeziehung auch mal Kritik abkönnen muss.