Land in Sicht! Trendiges Landleben dank cooler Konzepte

09/05/2021
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Landleben in WicklowLandleben in WicklowLandleben in WicklowLandleben in Wicklow

Zum Glück auf‘s Land

Trotz meines Wunsches der Zivilisation zu entfliehen und mich auf eine einsame Bergspitze zurückzuziehen, leben wir nach wie vor in unserem geliebten Häuschen im Co. Wicklow. Manchmal können wir es immer noch nicht fassen, was für ein Glück wir bei der Haussuche hatten. Gleich auf Anhieb das perfekte Zuhause zu finden, kann sicherlich nicht jeder von sich behaupten. Genau eine Besichtigung brauchte es, um unser City Apartment in Dublin gegen das Landleben im Küstenort Greystones einzutauschen. Fußläufig zum Ortskern mit all seinen Geschäften und was man sonst so zum Leben braucht, sind wir seit Dezember 2016 hier heimisch.

Die Payne FARMily

Heimisch fühlen wir uns definitiv. In unserem schönen Haus, das wir in den vergangenen 5 Jahren in das verwandelt haben, was wir uns unter einem gemütlichen, aber praktischen Cottage vorstellen. Der große Garten vor und hinter dem Haus hatte unsere Herzen vom ersten Moment an erobert. Eigentlich ist er das Reich meines Mannes John. Aber während des langen Lockdowns, habe auch ich zunehmend Gefallen an der Gartenarbeit gefunden. In diesem Jahr kam zu unserer kleinen Obstplantage und dem Kräutergarten noch ein großes Gemüsebeet hinzu. Vor Ostern zogen außerdem unsere zwei Hühner Chicken Nugget und Jelly Bean ein. Seitdem nenne ich es liebevoll die Payne FARMily.

Greystones – Nicht ländlich genug

Als wir im Sommer 2016 das erste Mal zu unserer Hausbesichtigung nach Greystones kamen, fielen uns lediglich ein paar wenige Eigenheim-Baustellen auf. Normal für einen beliebten und attraktiven Ort wie Greystones. In letzter Zeit jedoch schießen um uns herum neue Wohngebiete wie Pilze aus dem Boden. Wohin man nur schaut, entstehen Häuser und riesige Apartmentkomplexe. Ich beobachte das mit Unbehagen. Es mag übertrieben klingen, aber manchmal fühle ich mich nahezu klaustrophobisch, wenn wieder ein grünes Feld dem Bauboom weicht. Was wird aus der ländlichen Infrastruktur, für die wir uns bewusst entschieden als wir das geschäftige Dublin für das Landleben im Garten-County Wicklow verließen? Vielleicht hätten wir uns für eine noch ländlichere Region entschieden, wenn diese Entwicklung damals abzusehen gewesen wäre.

Lust auf Land

Es scheint paradox, dass ich mich im nicht endenden Lockdown nach Isolation sehne. Vielleicht habe ich aber einfach Gefallen am zurückgezogenen Leben in unserem herrlichen Garten gefunden, der wie eine grüne Oase unser Haus einrahmt. Auch meine Ausflüge ziehen mich immer wieder aus Greystones hinaus in die grüne Umgebung. Ich genieße die Stille der irischen Wälder, je weniger Leute desto besser.

Mit diesem Wunsch scheine ich jedoch nicht allein zu sein. Während nach wie vor viele Deutsche als Auswanderer mehr Ruhe und Platz in Irland suchen, gibt es auch in Deutschland einen Trend hin zum Landleben. Laut einer Studie könnten sich 41% der Deutschen vorstellen ihr städtisches Umfeld gegen ein ländlicheres zu tauschen. Das Home Office und die daraus resultierende örtliche Flexibilität während der Pandemie machen es möglich.

Lange Zeit waren es hohe Mieten und Wohnungsmangel in den Städten, die die Leute auf‘s Land drängten. Das Image vom langweiligen Landleben zwischen Feldern und stinkenden Kuhställen scheint sich jedoch gewandelt zu haben. Mehr und mehr wird es zur Wunschoption für junge Leute, die den Berufseinstieg hinter sich und die Familienplanung vor sich haben. Das zeigt der Anstieg der Hauspreise im ländlichen Raum um etwa 40% in den vergangenen 4 Jahren (Quelle: ZDF Reportage “Raus aus der Stadt – Der Traum vom Leben auf dem Land”).

Landleben auf Probe im ‘Coconat‘

Bevor man in ein Eigenheim auf dem Land investiert, sollte man sicher sein, dass einem das Landleben schmeckt. Denn neben einer oftmals romantisierten Vorstellung kann eine schlechtere oder gar fehlende Infrastruktur zur Herausforderung werden. Im Coconat, etwa eine Stunde südwestlich von Berlin, kann man Landluft auf Probe schnuppern. Auf einem ehemaligen Gutshof in Klein Glien haben Gründer Julianne Becker, Janosch Dietrich und Iris Wolf ein großartiges Landleben-Projekt geschaffen. Derzeit zieht es vor allem junge Leute aus der Hauptstadt an. Aber natürlich steht es jedem offen, der flexibel arbeiten kann und sich von der idyllischen Umgebung inspirieren lassen möchte.

   © 1: Coconat, 2 & 4: Tilman Vogler, 3: Andreas Plata

Auf dem großen Gelände stehen Gemeinschaftsarbeitsplätze und Unterkünfte zur Verfügung. Je nach Bedarf kann man sich hier für eine Nacht oder gleich ein paar Monate einmieten. Ob isoliert in der Natur arbeiten oder gemeinsam mit anderen in der umgebauten Scheune Ideen austauschen – Coconat bietet ein facettenreiches Umfeld für Großstädter, die sonst mitunter in einem Ein-Personen-Haushalt ihr Home Office hätten. „Ich möchte erstmal herausfinden was ich eigentlich will auf dem Land“, sagt Landwirtschafts-Bloggerin Svenja Nette dem ZDF, als sie sich als Gast bei Coconat unter anderem um die Hühner kümmert. „Dafür ist das Coconat eben ein total schöner Zwischenraum“, findet Svenja.

Auch die Einwohner des 80-Seelendorfes Klein Glien werden in das Leben der bunt zusammengewürfelten Gemeinde einbezogen. Denn auch der Ort soll davon profitieren, dass der Gutshof nun seit vielen Jahren des Leerstandes wieder belebt ist. So findet dort zum Beispiel auf Wunsch der Dörfler das alljährliche Feuerwehrfest statt. Und auch sonst stellt das Gründer-Trio sicher, dass es neben Co-Working und Co-Living Space eine friedliche Koexistenz zwischen den alten und neuen Bewohnern von Klein Glien gibt.

Aus Alt mach Neu – Dein Jahr in Loitz

Annika und Rolando, ein kreatives junges Paar zog kürzlich von Berlin in das vorpommersche Loitz. Zuvor wurden sie aus 17 Finalisten ausgewählt, die sich für das Projekt „Dein Jahr in Loitz“ beworben hatten. Doch was bewog die beiden dazu ihr Leben in der Großstadt aufzugeben, um für 1 Jahr in einer strukturschwachen Region zu leben und dort ein Abrisshaus wieder aufzumöbeln?

Das Ganze ist Teil des bundesweiten Wettbewerbes „Zukunftsstadt 2030“, bei dem Loitz 2015 Städte wie Berlin und Freiburg aus dem Rennen warf. Die Idee – verödete Regionen für junge Leute wieder attraktiv zu machen und der vorherrschenden Landflucht entgegen zu wirken. Das Konzept – Loitz lockt innovative Großstädter in seine leerstehenden Häuser, wo sie kostenlos wohnen dürfen und obendrauf noch ein Basiseinkommen von €1000 pro Monat erhalten. Im Gegenzug hauchen sie der verlassenen Immobilie wieder Leben ein und idealerweise gleich dem ganzen 4300-Seelenort Loitz.

So kam es also, dass sich die Berlinerin Annika und der gebürtige Venezuelaner Rolando mit ihrer Vision gegen anfänglich 93 Bewerber/innen durchsetzten. Mitte April 2021 bezogen sie ihr neues Domizil in Loitz. Gemeinsam mit Nachbarn und Freiwilligen aus der Gemeinde soll im Untergeschoss ihres Hauses nun etwas entstehen, wovon ganz Loitz profitiert und darüber hinaus Gleichgesinnte anlockt. Ein ungewöhnliches Projekt, das für beide Seiten eine Bereicherung sein könnte. Hoffentlich auch über das „Jahr in Loitz“ hinaus.

Trendiges Landleben coole Konzepte   © Dein Jahr in Loitz; 1, 2 & 4: Matthias Marx

“Es braucht ein Dorf um ein Kind zu erziehen“

Nicht nur wo, sondern auch wie wir leben, scheint sich wieder mehr an traditionelle Lebenskonzepte anzulehnen. Als ich meine Freundin Julia frage, warum sie ihre Stadtwohnung mitten in Hamburg aufgibt, um in ein Wohnprojekt nach Flensburg zu ziehen, antwortet sie mir folgendes: „Es braucht ein Dorf um ein Kind zu erziehen. Und genau das erhoffe ich mir von ‘Freiland Flensburg‘“.

Julia ist Alleinerziehende einer 5-jährigen Tochter. Bislang liebte sie das Leben in der Großstadt mit allem was dazu gehört. „Nun ist es Zeit für etwas Neues“, sagt mir Julia. „Mein Großvater war ursprünglich aus Flensburg. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass wir nun gerade dort gefunden haben, wonach wir suchten.”

Das Wohnprojekt ‘Freiland Flensburg’ befindet sich unweit vom Flensburger Stadtzentrum, aber dennoch mitten im Grünen. Es umfasst verschieden große unabhängige Wohneinheiten für jegliche Altersgruppen und Haushaltsgrößen. Reihenhäusern, Ein-Zimmer-Wohnungen und Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung, wie einer Gemeinschafts-Küche, einer Dachterrasse und einem Innenhof verschmelzen hier zu einem modernen Mehr-Generationen-Haushalt.

„Meine Tochter wird alleine draußen spielen können, ohne dass ich ständig ein Auge auf sie haben muss. Es werden immer andere Menschen oder Kinder in der Nähe sein, sodass sie Gesellschaft hat, wenn ich Sachen im Haus erledigen oder arbeiten muss“, erklärt mir Julia ihre Beweggründe. Und auch Julia kann auf Unterstützung zurückgreifen, sollte sie selbst einmal Hilfe benötigen. Im Gegenzug bringt auch sie wertvolle Fähigkeiten mit in die überdimensionale Wohngemeinschaft. So könnte sie zum Beispiel Senioren den Umgang mit dem Computer näherbringen oder Interessierten einen Nähkurs geben. Auch ihre Backkünste sind nicht zu verachten und werden sicherlich einige Türen für sie öffnen.

Schrebergarten auf Irisch

Auf‘s Land zu ziehen und sich bewusst gegen einen Garten zu entscheiden, passt für mich irgendwie nicht zusammen. Dennoch beobachte ich in Greystones immer wieder wie schnell und gut sich riesige Eigenheime mit kaum Außenfläche verkaufen. Wenn es einen Garten gibt, ist er oft  gepflastert, mit Kunstrasen oder Kieseln ausgelegt – weit entfernt von meiner Idee einer natürlichen Erholungsoase.

Um so erfreuter war ich als ich neulich über ein Projekt ganz bei uns in der Nähe las. Huw, der Initiator der ‘Schrebergärten auf Irisch‘, erklärte dem Greystones Guide, was seine Vision für die nächsten 5 Jahre ist. “Tírmór Allotments (=Parzellen) soll auf dem Konzept des Feldwaldbaus basieren“, sagt er. „Dabei wird es um Artenvielfalt und hohe Bodenqualität gehen. Zurück zu den Ursprüngen der Landwirtschaft sozusagen, bevor wir versuchten die Natur auszutricksen und nun mancherorts zum Beispiel mit Überflutungen zu kämpfen haben.”

Dafür transformiert Huw einen Teil seiner 150 Jahre alten Familienfarm und unterteilt sie in verschieden große Parzellen. Diese können dann von Pächtern und Hobbygärtnern in diesem Sinne bewirtschaftet werden. Bereits auf dem Gelände vorhanden sind Büroräume zur gemeinschaftlichen Nutzung, sogenannte Co-Working Spaces, wie auch bei Projekt Coconat. Darüber hinaus sollen individuelle Gartenlauben und eine Außenküche, nebst Campingplatz entstehen. „Die Leute, die bei uns ihr Home Office haben, können dann in ihrer Mittagspause ihr Gemüse anbauen und später ernten“, sagt Huw mit einem Lachen.

Weniger ist Mehr

Die vorgestellten Konzepte zeigen, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern durchaus davon lernen können, was andere Generationen vor uns erfolgreich gemeistert haben. Als Teenager hätte ich nie gedacht, dass ich einmal ein Fan des Landlebens sein würde. Je älter ich werde, um so mehr lerne ich traditionelle Lebenskonzepte zu schätzen.

Etwas mit seinen Händen zu erschaffen, aus eigener Kraft für die Familie zu sorgen; und dabei den Jüngsten zu zeigen wo Dinge ihren Ursprung haben, empfinde ich als sehr bereichernd. Aus dem Garten zu ernten, täglich frisch zu kochen und selber Brot zu backen gehören für mich inzwischen zum Alltag. Immer wieder wird mir dabei bewusst wie wenig wir eigentlich wirklich zum Leben brauchen. Ein Hoch auf das Landleben!

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