Sexismus ist keine Einbahnstraße

28/02/2021
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In der Berichterstattung über die Kinderbetreuung von zu Hause während der Corona-Krise fiel mir eines besonders auf. Nämlich dass Sexismus keine Einbahnstraße ist, sondern nicht selten auch gegen Männer geht. Mir ist es ein Bedürfnis in diesem Artikel Partei für selbige zu ergreifen. Dabei kann ich natürlich nur von unserer Familie und nicht für die Allgemeinheit sprechen. Dennoch bin ich überzeugt, dass mein Mann John kein Ausnahmefall ist. Falls wir tatsächlich nach wie vor in einer Welt leben, in der die Mehrheit der Männer frauenfeindlich ist und sich weigert die Betreuung der eigenen Kinder zu übernehmen, kann ich mich um so glücklicher schätzen einen so tollen Ehemann und Vater für unsere Kinder zu haben.

„Feministen gehen auf die Barrikaden“

Ich habe nichts gegen “Männer-sind-vom-Mars-und-Frauen-von-der-Venus-Sprüche”. Frauen und Männer sind nun einmal von Natur aus unterschiedlich. Sie bringen verschiedene Fähigkeiten und Stärken mit. Über ihre Schwächen zu witzeln und ein paar Stereotypen zu bedienen, kann durchaus amüsant sein. Allerdings nur, wenn sich beide Seiten einig darüber sind, dass es sich eben um solche handelt und sich nicht persönlich angegriffen fühlen.

Eine Freundin schickte mir neulich ein Video, das zeigte was passieren würde, wenn Frauen in den Streik träten. Männer mit weinenden Babies liefen hilflos umher und flehten Frauen auf der Straße an, ihnen doch zu verraten, warum es so schrie. Geschäftsmänner reagierten panisch als sie einen Anruf erhielten, ihren Sprössling heute mal vom Kindergarten abzuholen. In der Küche versuchten sich überforderte “Hausmänner” verzweifelt am Multitasken. Zum Totlachen! Aber natürlich stark übertrieben und mit einer großen Portion Sarkasmus.

Solche Art von Humor scheint anders herum jedoch nicht zu funktionieren. Feministen würden auf die Barrikaden gehen, wenn derartige Videos über die vermeintlichen Schwächen einer Frau kursierten. Warum finden wir es lustig Männer zu verhohnepipeln, wenn es um die Kindererziehung geht. Aber gleichzeitig gilt es als Sexismus über die Fahrkünste oder handwerklichen Fähigkeiten von Frauen zu scherzen, gleichwohl es sich in beiden Fällen um ein Klischee handelt.

Männer gegen Frauen

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es immer noch heißt “Männer gegen Frauen.” Ganz stark zumindest in der Medienberichterstattung während der Corona-Krise. Als gäbe es einen Wettbewerb, aus dem unbedingt eine Gewinnerseite hervorgehen muss. Was wurde aus der erfolgreichen Symbiose zwischen Mann und Frau? Der Partnerschaft und Teamarbeit, bei der beide von den Fähigkeiten des anderen profitierten, anstelle immer nur gegenseitig Schwächen anzuprangern?

Ich möchte nicht behaupten, dass wir zu Hause nie Streitereien haben, die auf unsere Rollenverteilung zurückzuführen sind. Wer hat sich am Wochenende mehr um die Kinder gekümmert?  Welcher Job ist härter? Wer hat sich eher eine Pause verdient? Auch John und ich erwischen uns regelmäßig wie wir uns deswegen in die Haare kriegen. Sich 24/7 um zwei kleine Kinder zu kümmern, vom Home Office aus zu arbeiten und aufgrund der Corona-Restriktionen kaum das eigene Grundstück zu verlassen, ist definitiv eine Herausforderung. Eine, die täglich wächst solange die Pandemie anhält.

Sobald sich unsere Gemüter beruhigt haben, besinnen wir uns darauf, dass bei derartigen Auseinandersetzungen in einer Ehe niemand gewinnen kann (außer vielleicht einer halben Stunde Schlaf, wenn es einem das Wert ist). Wir haben als gleichberechtigte Partner Absprachen getroffen und an die versuchen wir uns zu halten. Falls das einmal nicht möglich ist, suchen wir nach Kompromissen. Alles in allem wissen wir, dass wir auf der selben Seite stehen und uns nicht in einer Pseudo-Schlacht Frauen gegen Männer befinden.

Männer gegen Frauen - Sexismus umgekehrtMänner gegen Frauen - Sexismus umgekehrtMänner gegen Frauen - Sexismus umgekehrtMänner gegen Frauen - Sexismus umgekehrt

Faule Hausfrau gegen karriereorientierten Ehemann

Neben unserer Ehe ist die wichtigste Vereinbarung die wir getroffen haben, die unserer Rollenverteilung innerhalb der Familie. Ich kümmere mich “hauptberuflich” um die Kinder und den Haushalt. John ist der alleinige Geldverdiener. Wir haben beide eine große Verantwortung. Aber von der Gesellschaft scheint keine so richtig als solche wahrgenommen zu werden.

Ein Beispiel der negativen Berichterstattung, die ich eingangs erwähnte, war dass Frauen die Verliererinnen der Corona-Krise seien. Sie müssen zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, solange die Betreuungseinrichtungen geschlossen haben. Männer hingegen können, wie vor der Krise, weiter ihren Jobs nachgehen.

Hat schon einmal jemand daran gedacht wie es den Männern dabei geht, dass nun die gesamte finanzielle Last plötzlich auf ihren Schultern lastet? (Auch in unserem Fall, obwohl sich da mit der Corona-Krise nichts geändert hat.) Frauen bekommen in dieser Ausnahmesituation die Gelegenheit mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Ja, sie haben sich das nicht ausgesucht. Die Männer aber auch nicht.

Dazu kommt, dass das Image der Hausfrau und Mutter in unserer Gesellschaft immer noch nicht das Beste ist. Es ist von Abhängigkeit und fehlender Selbstverwirklichung die Rede. Von etwas aufgeben, nie aber von etwas dazugewinnen. Dabei weiß jeder – zumindest in der Theorie – dass das Erziehen von Kindern definitiv ein Vollzeit-Job ist. Und ein essenzieller noch dazu. Woran liegt es also, dass Frauen immer noch ungern zugeben, dass sie “zu Hause” sind oder sich im selben Atemzug dafür rechtfertigen?

Auf der anderen Seite ist das Gras immer grüner

Es sieht so aus, als bekäme keine der beiden Parteien was sie will. Na klar klingt es paradiesisch, mich für Stunden mit meinem Computer ins Home Office zurückzuziehen, während John auf die Kinder aufpasst. John auf der anderen Seite freut sich, wenn er nach einem langen Tag vor dem Bildschirm abends mit den Kindern herumtoben kann.

Beneiden wir uns also die ganze Zeit gegenseitig und sind deswegen so kratzbürstig im ewigwährenden Kampf Männer gegen Frauen? Weder ein Vollzeit-Bürojob noch die Kinderbetreuung zu Hause sind immer Friede – Freude – Eierkuchen. Aber John und ich haben unsere Gründe, warum wir uns für diese Rollenverteilung entschieden haben. Um so mehr genießen wir es dann mal kurz zu tauschen. Niemand möchte immer nur arbeiten und keinen entsprechenden Ausgleich haben.

Die Frage nach dem Sinn

Anstelle nach einem anstrengenden Tag darüber zu diskutieren, wie gut es der andere doch hat, versuchen wir uns gegenseitig Anerkennung zu zeigen. Denn auch die Annahme, dass man in einem sogenannten “Brotjob” mehr persönliche Anerkennung erfährt, ist meines Erachtens falsch. Wie oft bringen mir unsere Kinder Wertschätzung entgegen, während John diesbezüglich im Büro, trotz harter Arbeit, nicht selten vergeblich darauf wartet.

Dann wäre da noch die Frage nach dem Sinn. Auch da habe ich als Vollzeit-Mama zu Hause die Nase vorn. Ich habe eindeutig die wichtigere Aufgabe von uns beiden. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir ohne Johns Überstunden und sein gutes Gehalt nicht den Lebensstandard hätten, den wir jetzt haben.

Es braucht demnach uns als Team, um alles so möglich zu machen. Dabei geht es nicht um permanentes Glücklichsein und die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Wir glauben, dass Verantwortung zu übernehmen und seinen Beitrag zu leisten genau das langfristig gewährleistet.

Eine gesunde Abhängigkeit

Zudem gibt es kein Punkte-System oder einen Mitarbeiter des Monats-Wettbewerb, von dem nur einer profitiert. Lässt es einer von uns schleifen, geht das zu Lasten des anderen. Wir haben kein Problem damit zu sagen, dass wir als Ehepartner voneinander abhängig sind. Unsere Ehe und unsere Familie würde nicht funktionieren, wenn wir zwei Individuen wären, die lediglich ihre eigenen Ziele verfolgten.

Trouble Shooting in der Krise

Die Corona-Krise verlangt uns ein hohes Maß an Anpassung ab. Auch wenn es uns das traditionelle Familienmodell mit mir als Vollzeit-Mama und John im Home Office einfacher gemacht hat uns an die Situation zu gewöhnen, hatten wir niemals damit gerechnet alles alleine stemmen zu müssen. Ganz ohne Unterstützung von Freunden, Familie und jeglichem sozialen Umfeld.

Dementsprechend gibt es Momente, in denen auch wir an unsere Grenzen stoßen. Tagein tagaus sind wir als Familie zusammen und können uns nicht einmal draußen frei bewegen. Neulich gingen wir zerstritten über eine Kleinigkeit zu Bett. Am nächsten Morgen waren wir uns einig die Klärung eines Konfliktes nicht wieder so lange aufzuschieben.

Meist sind es Müdigkeit, Überforderung und Hilflosigkeit, die uns überhaupt erst zum Streiten bringen. Gerade dann ist es wichtig, dass wir uns auf die Kraft unserer Partnerschaft besinnen. Sie ist unser Basislager, in dem wir beide wieder Energie tanken können.

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